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Musiklehrer gab vor Vertragsabschluss Beschwerden nicht an – Versicherer focht daraufhin die Berufsunfähigkeitsversicherung an


BGH, Urteil v. 28.10.2009, Az. IV ZR 140/08


Ein Musiklehrer gab vor Abschluss des Vertrages seine Beschwerden am Rücken nicht an. Der Versicherer focht im Rahmen der Leistungsprüfung daraufhin die Berufsunfähigkeitsversicherung an.

 

Die Willensbildung vor Vertragsschluss der zukünftigen Vertragspartner muss frei von Täuschung sein. Liegt eine Täuschung des Vertragspartners vor, kann dieser den Vertrag anfechten. Eine wirksame Anfechtung bewirkt, dass der Vertrag als von Anfang an als nichtig anzusehen ist.

 

§ 123 Abs.1 BGB lautet:

 

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

 

(2) ...

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in diesem Zusammenhang jüngst  mit folgendem Fall zu beschäftigen:

Der Kläger hatte beim Beklagten, einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankung beantragt, da er seine bisherige Tätigkeit als angestellter Musiklehrer dauerhaft nicht mehr ausüben könne. Aufgrund unrichtiger Angaben zu den Gesundheitsfragen im Antrag auf Abschluss der Versicherung trat der Beklagte vom Vertrag zurück und focht seine Vertragserklärung wegen arglistiger Täuschung an. Bei pflichtgemäßen Angaben wäre der Vertrag nur unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen abgeschlossen worden, so der Beklagte. 

 

Der Kläger hatte Rückenbeschwerden, die zumindest mit drei Massageterminen therapiert wurden, nicht angegeben. Er behauptete, es habe sich um bloße Muskelverspannungen gehandelt. Er machte nun im Verfahren geltend, dass der Beklagte allenfalls dazu berechtigt sei, den Vertrag unter Ausschluss von Wirbelsäulenerkrankungen zu reduzieren, nicht aber den Vertrag insgesamt unwirksam zu machen.

 

Der Argumentation des Klägers folgte der BGH nicht. Der Beklagte könne sich vollständig vom Vertrag lösen und müsse sich nicht an einer hypothetischen Erklärung festhalten lassen, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage abgegeben hätte. Sonst würde das Aufdeckungsrisiko sachwidrig auf den Versicherer verlagert:

 

Der BGH (Zitat):

 

„Der Streitfall gibt keinen Anlass, von diesem Grundsatz abzuweichen. Die von der Revision geforderte Beschränkung der Anfechtungswirkung würde das vom arglistig täuschenden Antragsteller zu tragende Aufdeckungsrisiko sachwidrig auf den Versicherer verlagern. Dieser bliebe im Falle der Nichtaufdeckung der Falschangaben durch einen Vertrag verpflichtet, den er ohne die Täuschung nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen hätte. Demgegenüber bliebe der Täuschende selbst im Falle der Aufdeckung seines arglistigen Verhaltens immer noch ein Vertrag erhalten, zu dessen Abschluss der Versicherer nur bei ordnungsgemäßen Angaben bereit gewesen wäre. Die Versuchung eines Antragstellers, Vorerkrankungen zu verschweigen, würde hierdurch in nicht hinnehmbarer Weise gesteigert (vgl. dazu BGHZ 163, 148, 153).“

 

Diese Entscheidung zeigt wieder einmal eindrucksvoll, wie wichtig es ist, vor Vertragsschluss alle Gesundheits- und Antragsfragen vollständig und wahrheitsgemäß zu beantworten. Das Problem ist jedoch, dass Verträge nicht selten vom Versicherungsnehmer ohne gründliche Vorbereitung und juristische Beratung abgeschlossen werden. Dem Betroffenen ist zumeist gar nicht bewusst, worauf es jeweils ankommt. Er merkt dann sein Versäumnis erst, wenn es zu spät ist.

 

Nur kurz möchte ich in diesem Rahmen noch auf ein anderes in dieser Entscheidung problematisiertes Rechtsproblem eingehen. Im Leistungsfall verlangt der Versicherer grundsätzlich vom Versicherungsnehmer, dass dieser die ihn behandelnden Ärzte dem Versicherer gegenüber von der ärztlichen Schweigepflicht befreit. 

 

Trotz (unterstellt) unwirksamer Schweigepflichtentbindungserklärung in dem hier vom BGH zu entscheidenden Fall, verwehrte dieser dem beklagten Versicherungsverein nicht, die erlangten Informationen über den vorvertraglichen Gesundheitszustand des Klägers für die Anfechtung bzw. im Prozess überhaupt zu nutzen. 

 

Begründung: Es lasse sich nicht feststellen, dass der Beklagte sein Verhalten zielgerichtet treuwidrig darauf gerichtet habe, die zur Ausübung eines Rücktritts- oder Anfechtungsrechts erforderliche Tatsachenkenntnis zu erlangen. Die daher erforderliche Abwägung der Einzelfallumstände müsse hier zu Lasten des Klägers gehen. 

 

Der BGH berücksichtigt bei seiner Abwägung, dass im Jahre 2005 die verwendete Schweigepflichtentbindungserklärung höchstgerichtlich noch als wirksam erachtet wurde. Der Beklagte durfte danach auf deren Wirksamkeit vertrauen. 

 

Das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung musste daher hier gegenüber dem Interesse des Beklagten an der Verhinderung ungerechtfertigter Inanspruchnahme zurücktreten.

 

Diesen Kommentar verfasste Rechtsanwalt Jan-Martin Weßels, Hamburg 

(Quelle der Entscheidung: Bundesgerichthof, erhältlich unter http://juris.bundesgerichtshof.de)