BGH, Urteil v. 21.04.2010, Az. IV ZR 8/08: Ein Schreiner im Außendienst - Nachprüfungsverfahren und bisherige Lebensstellung.
In diesem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging um einen Schreiner. Dieser war infolge der bei seiner Arbeit auftretenden Staubimissionen an Asthma erkrankt. In der Folge konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben. Seine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung erkannte die Berufsunfähigkeit zunächst auch an.
Einige Jahre später überprüfte die Versicherung den Gesundheitszustand des Schreiners in einem sogenannten Nachprüfungsverfahren. Der Schreiner gab in einer Erklärung an, dass er nun als Außendienstmitarbeiter im Garten- und Technikbereich arbeite.
Daraufhin stellte die beklagte Versicherung die Leistungen ein. Begründung: Keine Berufsunfähigkeit!
Der Schreiner war damit nicht einverstanden und erhob Klage. Die Klage blieb in zwei Instanzen erfolglos. Nun hob der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil auf und wies die Sache wegen Rechtsfehlern an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung zurück.
Das Berufungsgericht habe, so der BGH, ohne die frühere Tätigkeit des Klägers als gelernter Schreinergeselle zu ermitteln, deren Vergleichbarkeit mit der neuen Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter im Garten – und Technikbereich bejaht.
Zentrale Frage des Falles war es, ob die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht. Nur dann hätte die Versicherung die Leistung verweigern können. Um die bisherige Lebensstellung zu ermitteln, müsse man aber genau wissen, wie die frühere Tätigkeit ausgestaltet gewesen sei, so der BGH. Eigentlich logisch, oder?
Der BGH wörtlich (Zitat):
„Da die Berufsausübung vor Eintritt des Versicherungsfalles die Maßstäbe dafür liefert, ob die neue Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht, muss bekannt sein, wie sie konkret ausgestaltet war, welche Anforderungen sie an den Versicherten stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie ihm sicherte und wie sich seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten (Senatsurteil vom 11. Dezember 2002 aaO, der BGH nimmt hier Bezug auf sein Urteil vom 11.12.2002, Az. IV ZR 302/01, NJW-RR 2003, 383, Anm. Jan-Martin Weßels). Dies gilt auch bei der Nachprüfung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeit gemäß § 7 Abs.1 Satz 1 B-BUZ.“
Nach diesem Urteil reichte es daher nicht aus, dass der Kläger hinsichtlich seines erlernten Berufes als Schreiner nur den Gesellenbrief vorlegte, auf die Möglichkeit der Meisterprüfung und die damit verbundenen Aufstiegschancen verwies und das zuletzt erzielte Einkommen angab. Der Kläger wird daher im weiteren Prozess eine ausführliche Tätigkeitsbeschreibung erstellen und bei Gericht einreichen müssen. Eine zugegeben anstrengende und mühevolle Arbeit! Um diese kommt man aber bei Streitigkeiten im Berufunfähigkeitsversicherungsrecht zumeist nicht herum!
Wenn der Kläger nun vor dem Berufungsgericht seinen Vortrag entsprechend ergänzt, wird das Berufungsgericht erneut zu beurteilen haben, ob die neue Tätigkeit des Klägers mit seiner früheren Tätigkeit vergleichbar ist.
Es bedarf dabei eines konkreten Vergleichs der Anforderungsprofile der einander gegenüber zu stellenden Berufe und einer konkreten Betrachtung, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die jeweiligen Tätigkeiten erfordern, welche Verdienstmöglichkeiten und welche beruflichen Perspektiven sie bieten und ob danach die neue Tätigkeit die bisherige Lebensstellung des Versicherten zu wahren geeignet ist, so der Bundesgerichtshof.
Hintergrund
Dem Fall lagen folgende Bedingungen zu Grunde (Zitat):
„§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
1. Vollständige Berufsunfähigfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mehr als sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihre bisherigen Lebensstellung entspricht.
…
§ 7 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?
1. Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad oder den Umfang der Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen; … Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person einer anderen Tätigkeit im Sinne von § 2 ausüben kann, wobei neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten zu berücksichtigen sind.“
Die sogenannte Verweisungsklausel in den vorgennanten Bedingungen splittet sich inhaltlich in ein objektives Überforderungsverbot („die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann“) und eine subjektive Verweisbarkeit („seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“, vgl. zu den Begrifflichkeiten, Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2.Aufl., München 2009, S. 339)
Das objektive Überforderungsverbot war hier nicht streitig. Der Kläger ging ja, offenbar ohne Probleme zu haben, bereits seiner neuen Beschäftigung nach. Streitig war vorliegend lediglich die Frage der subjektiven Verweisbarkeit.
In § 172 Abs.3 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) ist die Möglichkeit der Vereinbarung einer Verweisung explizit geregelt.
Rechtsanwalt Jan-Martin Weßels, Hamburg (Quelle der Entscheidung: Bundesgerichtshof, die Entscheidung ist erhältlich unter http://juris.bundesgerichtshof.de)